
Freistellung von Bahnflächen
Der Deutsche Städtetag warnt im Juli 2024 vor einer Verschärfung der Voraussetzungen für die Freistellung (Entwidmung) nicht mehr benötigter Bahnflächen. Anlass ist eine Änderung im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG), die seit Dezember 2023 gültig ist. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen. Die ersten Fragen erklären das komplexe Thema. Die späteren Fragen erläutern die Position der Stadt. Das Fazit zeigt: die Stadt sieht den Städtebau nicht gefährdet.
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Am 28. Mai 2025 äußerte sich Dr. Frank Nopper: „Nach der geltenden Rechtslage wäre das Wohnungsbauprojekt Stuttgart-Rosenstein mit bis zu 5.700 Wohnungen für über 10.000 Menschen nicht realisierbar. Wir brauchen im Interesse dieses Zukunfts- und Modellprojekts dringend eine Korrektur. Deswegen ist es gut und richtig, dass die neue Bundesregierung jetzt unverzüglich tätig geworden ist. Die erneute Änderung muss sicherstellen, dass zukunftsweisende Wohnungsbauprojekte wie das Rosensteinquartier realisiert werden können.“
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Im Oktober 2023 beschloss der Bundestag über das „Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1187 über die Straffung von Maßnahmen zur raschen Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes“. In diesem Gesetzesentwurf ging es um mehrere verkehrliche Themen. Durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestags wurde eine Änderung des § 23 AEG in das Verfahren aufgenommen.
Durch diesen Beschluss des Deutschen Bundestages änderte sich die gesetzliche Regelung zur Freistellung (Entwidmung) von Bahnflächen in § 23 AEG am 29. Dezember 2023. Der Paragraph wurde um eine neue Voraussetzung zur Freistellung (Entwidmung) von Grundstücken ergänzt. Fraglich ist, wie diese neue Voraussetzung sich auf die Anwendung des § 23 AEG auswirken wird und ob es weiterhin möglich ist, Bahnflächen für Wohnungsbau freizustellen.
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Mit der Widmung nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetzt (AEG) erhält ein Grundstück den öffentlich-rechtlichen Zweck, dem Bahnbetrieb zu dienen. Eine Betriebsanlage der Eisenbahn kann sich auf dem Grundstück befinden oder das Grundstück ist selbst eine Betriebsanlage der Eisenbahn. Die Zweckbestimmung des Grundstücks, die Widmung, beschränkt die Nutzung auf Zwecke des Eisenbahnbetriebs und schließt grundsätzlich andere Verwendungen aus, solange die Widmung besteht.
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Im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) wird die Entwidmung von Grundstücken als Freistellung bezeichnet. § 23 AEG gibt vor, unter welchen Voraussetzungen ein Grundstück vom Bahnbetriebszweck befreit werden kann. Grundsätzlich ist das Eisenbahn-Bundesamt zuständig für die Freistellung von Bahnflächen der Deutschen Bahn. Erst mit der Freistellung und der Aufhebung des Bahnzwecks entfällt die „Sonderzuordnung“ des Grundstücks zum AEG und die Regelungen des Allgemeinen Planungs- und Baurechts werden wieder angewendet.
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Die neue Fassung des § 23 AEG wäre künftig bei der Freistellung konkreter Grundstücke mit Bahnbetriebszweck anzuwenden, soweit die Gesetzesänderung von den Vorgaben des Grundgesetzes gedeckt wäre.
Dann wäre auch zu klären, wann ein überragendes öffentliches Interesse vorliegt, das den Bahnbetriebszweck überwiegt.
In vielen Fällen ist das Eisenbahn-Bundesamt für die Freistellung von Grundstücken mit Bahnbetriebszweck zuständig. Das Eisenbahn-Bundesamt wird tätig, wenn ein entsprechender Antrag auf Freistellung nach § 23 AEG gestellt wird.
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26. Juli 2024: Der Deutsche Städtetag hat nach eigener Aussage erste Gespräche mit dem Eisenbahn-Bundesamt zur Anwendung des § 23 AEG geführt. Demnach vertrete das Eisenbahn-Bundesamt die Auffassung, dass die Freistellung nur noch erfolgen könne, wenn auf den Flächen Vorhaben realisiert werden sollten, die ebenfalls kraft eines Gesetzes im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegen. Eine Freistellung könne nur für beispielsweise die Landesverteidigung, für bestimmte Bundes-Fernstraßen-Vorhaben oder Wind- bzw. Solarenergieanlagen erfolgen. Der Bau von Wohnungen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen gehöre nicht dazu.
Die zuvor genannte Auswirkung des § 23 AEG erachtet die Landeshauptstadt Stuttgart für verfassungswidrig. In Art. 28 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) ist die kommunale Selbstverwaltung geschützt. Teil dieser Selbstverwaltung ist auch die Planungshoheit. Mit der Widmung eines Grundstücks für Bahnbetriebszwecke verliert die betroffene Kommune ihre Planungshoheit. Die Städte und Gemeinden haben den Anspruch auf Freistellung zur Wiederherstellung ihrer Planungshoheit, wenn der Bund kein eigenes konkretes Interesse an der Nutzung der Grundstücke darlegen kann. Eine Vorratshaltung von Grundstücken auf Seiten des Bundes ohne konkrete Planungen für die Verwendung sieht die Landeshauptstadt als extrem kritisch an. Dies gilt insbesondere für Innenstadtbereiche in Zeiten des Wohnungsnotstands.
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Ja, denn die Grundstücke von Stuttgart Rosenstein sind zu Bahnbetriebszwecken gewidmet und werden noch für den Bahnbetrieb genutzt bis die heutigen Bahnsteige außer Betrieb genommen werden. Einen Antrag auf Freistellung beim Eisenbahn-Bundesamt wurde noch nicht gestellt. Das Verkehrsbedürfnis besteht derzeit noch, da die heutigen Bahnsteige noch für den Zugbetrieb benötigt werden.
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Nein, die geplante Maker City auf dem Gebiet C1 mit der geplanten Ausweichspielstätte der Oper ist nicht betroffen.
Rund um die Wagenhallen entsteht die Maker City. -
Nein, es liegen keine Planungen des Bundes vor, die bestehenden Gleise in Zukunft weiter für den Bahnbetrieb zu nutzen. Bereits in den bestehenden Genehmigungsgrundlagen des Projekts Stuttgart 21 (Planfeststellungen) werden Gleise durch andere Anlagen ersetzt. Wo heute die Gleise in Richtung Bad Cannstatt entlang des Unteren Schlossgartens liegen, müssen naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen errichtet werden. Sämtliche künftige Maßnahmen des Bundes (z.B. Nordzulauf im Rahmen der Realisierung des Deutschlandtakts) sind auf den neuen Durchgangsbahnhof ausgerichtet.
Auf den heutigen Bahntrassen sollen eine schnelle Radverbindung nach Bad Cannstatt und Flächen für geschützte Tierarten entstehen. Hier wird sich auch der Übergang vom Schlossgarten zum neuen Rosensteinquartier befinden. -
26. Juli 2024: Die Landeshauptstadt Stuttgart begrüßt und unterstützt die Initiative des Deutschen Städtetags. Es ist zu gewährleisten, dass bei der Freistellung von Grundstücken die verfassungsmäßigen Rechte der Städte und Gemeinden berücksichtigt werden. Die Landeshauptstadt Stuttgart wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um diese Rechte zu wahren. Dazu wird sich die Stadt mit anderen Kommunen und Institutionen vernetzen. § 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes muss unter Berücksichtigung des Grundgesetzes angewandt oder sogar geändert werden.
Die Landeshauptstadt Stuttgart sieht erste Zeichen, dass in der Bundespolitik die Problematik der Änderung des § 23 AEG erkannt wird. Das Mitglied im Deutschen Bundestag, Matthias Gastel, hat auf seiner Homepage am 14. Juli 2024 veröffentlicht, dass die Bebauung des Gleisvorfeldes nicht generell verhindert werden soll und dass eine Änderung des Eisenbahngesetzes möglich ist.
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Nein, die Landeshauptstadt Stuttgart ist überzeugt, dass der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz die Freistellung der heutigen Grundstücke gebietet. Eine dauerhafte Blockade der Flächen im Herzen der Landeshauptstadt, ohne eine konkrete Entwicklungsperspektive durch die Bundespolitik, ist nicht rechtens und ein Nutzen ist nicht erkennbar. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat eine preisgekrönte Planung für die Entwicklung von dringend benötigtem Wohnraum im Stuttgarter Zentrum erarbeitet.
Wir freuen uns darauf, dieses nachhaltige Entwicklungskonzept zugunsten der Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt Stuttgart realisieren zu können.
Im Oktober 2023 wurde der städtebauliche Rahmenplan beschlossen. Einer der wichtigsten Meilenstein für die Entwicklung des neuen Stadtteils ist damit erreicht. -
Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart hat im November 2024 beschlossen, dass die Landeshauptstadt eine Kommunalverfassungsbeschwerde zur Feststellung einer Verletzung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes erhebt. Die Beschwerde zur aktuellen Fassung des § 23 AEG wurde beim Verfassungsgericht in Karlsruhe erhoben und vom Gericht den betroffenen Stellen zugeleitet.
Der 21. Deutsche Bundestag hat das Thema Änderung des § 23 AEG direkt aufgegriffen. Am 5. Juni 2025 fand in Berlin die erste Lesung von Gesetzesentwürfen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen statt. Auch das Wohnungsbauprojekt Stuttgart Rosenstein hat seinen Weg in die Debatte gefunden. Die Diskussion im Deutschen Bundestag kann unter diesem Link nachvollzogen werden.
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Unter folgendem Link finden Sie detaillierte Unterlagen rund um die Änderung des §23 AEG zum Download. Dafin finden Sie:
– Aussagen und offene Briefe von Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper
– Öffentliche Anhörung des Bau- und Umweltbürgermeisters Peter Pätzold im Bundes-Verkehrsausschuss
– Verfassungsbeschwerde der Stadt Stuttgart und zugehörige Gemeinderatsdrucksache
Zuletzt aktualisiert im Juni 2025.
Download: Ergänzende Unterlagen zum 23 AEG Stand Juni 2025