Freistellung von Bahnflächen
Der Deutsche Städtetag warnt im Juli 2024 vor einer Verschärfung der Voraussetzungen für die Freistellung (Entwidmung) nicht mehr benötigter Bahnflächen. Anlass ist eine Änderung im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG), die seit Dezember 2023 gültig ist. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen rund um dieses Thema.
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Am 30. Juli 2024 äußerte sich Dr. Frank Nopper: „Der § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) stellt in seiner neuen Fassung nach unserer Rechtsauffassung einen schwerwiegenden Eingriff in die kommunale Planungshoheit dar und ist deswegen verfassungswidrig. Ganz offensichtlich war sich der Bundesgesetzgeber bei der Novellierung des § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewusst oder er befand sich jedenfalls mehrheitlich in einem Zustand kollektiver legislativer Verirrung. Diese Gesetzesänderung mutet an wie ein Treppenwitz der Gesetzgebungsgeschichte. Sie würde in Zeiten größter Wohnungsnot den Bau von bis zu 5.700 innerstädtischen Wohnungen für rund 10.000 Menschen – unter Schonung der „grünen Wiese“ in den Außenbezirken – blockieren und eine städtebauliche Jahrhundertchance für Stuttgart unmöglich machen, obwohl die Bundes- und Landespolitik gar keine Nutzung des Gleisvorfeldes für den Schienenverkehr mehr plant. Deswegen muss der Bundesgesetzgeber § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz unverzüglich wieder ändern.“
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Im Oktober 2023 beschloss der Bundestag über das „Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1187 über die Straffung von Maßnahmen zur raschen Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes“. Der eingebrachte Gesetzesentwurf hatte mehrere verkehrliche Themen zum Inhalt. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestags eine Änderung des § 23 AEG in das Verfahren aufgenommen.
In der Folge des Beschlusses des Deutschen Bundestages änderte sich die gesetzliche Regelung zur Freistellung (Entwidmung) von Bahnflächen in § 23 AEG am 29. Dezember 2023. § 23 AEG wurde um eine neue Voraussetzung zur Freistellung (Entwidmung) von Grundstücken ergänzt. Fraglich ist, wie diese neue Voraussetzung sich auf die Anwendung des § 23 AEG auswirken wird und ob es weiterhin möglich ist die Freistellung zur Umsetzung von beispielsweise Wohnungsbauprojekten zu erreichen.
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Mit der Widmung nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetzt (AEG) erhält ein Grundstück den öffentlich-rechtlichen Zweck, dem Bahnbetrieb zu dienen. Eine Betriebsanlage der Eisenbahn kann sich auf dem Grundstück befinden oder das Grundstück ist selbst eine Betriebsanlage der Eisenbahn. Die Zweckbestimmung des Grundstücks, die Widmung, beschränkt die Nutzung auf Zwecke des Eisenbahnbetriebs und schließt grundsätzlich andere Verwendungen aus, solange die Widmung besteht.
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Im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) wird die Entwidmung von Grundstücken als Freistellung bezeichnet. § 23 AEG gibt vor, unter welchen Voraussetzungen ein Grundstück vom Bahnbetriebszweck befreit werden kann. Grundsätzlich ist das Eisenbahn-Bundesamt zuständig für die Freistellung von Bahnflächen der Deutschen Bahn. Erst mit der Freistellung und der Aufhebung des Bahnzwecks entfällt die „Sonderzuordnung“ des Grundstücks zum AEG und die Regelungen des Allgemeinen Planungs- und Baurechts werden wieder angewendet.
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Nach der alten Fassung des § 23 AEG bestand ein Anspruch des Antragstellers auf Freistellung, „wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.“
Diese Voraussetzungen wurden nun ergänzt, sodass nach der neuen Fassung die Freistellung von Bahnbetriebszwecken festgestellt wird, wenn das Interesse des Antragstellers an der Freistellung das […] überragende öffentliche Interesse überwiegt, kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.“ Damit wurde in § 23 AEG aufgenommen, dass das Interesse des Antragstellers an der Freistellung das überragende öffentliche Interesse an der Widmung zu Bahnbetriebszwecken überwiegen muss.
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Die neue Fassung des § 23 AEG wäre künftig bei der Freistellung konkreter Grundstücke mit Bahnbetriebszweck anzuwenden, soweit die Gesetzesänderung von den Vorgaben des Grundgesetzes gedeckt wäre.
Dann wäre auch zu klären, wann ein überragendes öffentliches Interesse vorliegt, das den Bahnbetriebszweck überwiegt.
In vielen Fällen ist das Eisenbahn-Bundesamt für die Freistellung von Grundstücken mit Bahnbetriebszweck zuständig. Das Eisenbahn-Bundesamt wird tätig, wenn ein entsprechender Antrag auf Freistellung nach § 23 AEG gestellt wird.
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26. Juli 2024: Der Deutsche Städtetag hat nach eigener Aussage erste Gespräche mit dem Eisenbahn-Bundesamt zur Anwendung des § 23 AEG geführt. Demnach vertrete das Eisenbahn-Bundesamt die Auffassung, dass die Freistellung nur noch erfolgen könne, wenn auf den Flächen Vorhaben realisiert werden sollten, die ebenfalls kraft eines Gesetzes im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegen. Eine Freistellung könne nur für beispielsweise die Landesverteidigung, für bestimmte Bundes-Fernstraßen-Vorhaben oder Wind- bzw. Solarenergieanlagen erfolgen. Der Bau von Wohnungen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen gehöre nicht dazu.
Die zuvor genannte Auswirkung des § 23 AEG erachtet die Landeshauptstadt Stuttgart für verfassungswidrig. In Art. 28 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) ist die kommunale Selbstverwaltung geschützt. Teil dieser Selbstverwaltung ist auch die Planungshoheit. Mit der Widmung eines Grundstücks für Bahnbetriebszwecke verliert die betroffene Kommune ihre Planungshoheit. Die Städte und Gemeinden haben den Anspruch auf Freistellung zur Wiederherstellung ihrer Planungshoheit, wenn der Bund kein eigenes konkretes Interesse an der Nutzung der Grundstücke darlegen kann. Eine Vorratshaltung von Grundstücken auf Seiten des Bundes ohne konkrete Planungen für die Verwendung sieht die Landeshauptstadt als extrem kritisch an. Dies gilt insbesondere für Innenstadtbereiche in Zeiten des Wohnungsnotstands.
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Ja, denn die Grundstücke von Stuttgart Rosenstein sind zu Bahnbetriebszwecken gewidmet und werden noch für den Bahnbetrieb genutzt bis die heutigen Bahnsteige außer Betrieb genommen werden. Einen Antrag auf Freistellung beim Eisenbahn-Bundesamt wurde noch nicht gestellt. Das Verkehrsbedürfnis besteht derzeit noch, da die heutigen Bahnsteige noch für den Zugbetrieb benötigt werden.
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Nein, die geplante Maker City auf dem Gebiet C1 mit der geplanten Ausweichspielstätte der Oper ist nicht betroffen.
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Nein, es liegen keine Planungen des Bundes vor, die bestehenden Gleise in Zukunft weiter für den Bahnbetrieb zu nutzen. Bereits in den bestehenden Genehmigungsgrundlagen des Projekts Stuttgart 21 (Planfeststellungen) werden Gleise durch andere Anlagen ersetzt. Wo heute die Gleise in Richtung Bad Cannstatt entlang des unteren Schlossgartens liegen, müssen naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen errichtet werden. Sämtliche künftige Maßnahmen des Bundes (z.B. Nordzulauf im Rahmen der Realisierung des Deutschlandtakts) sind auf den neuen Durchgangsbahnhof ausgerichtet.
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26. Juli 2024: Die Landeshauptstadt Stuttgart begrüßt und unterstützt die Initiative des Deutschen Städtetags. Es ist zu gewährleisten, dass bei der Freistellung von Grundstücken die verfassungsmäßigen Rechte der Städte und Gemeinden berücksichtigt werden. Die Landeshauptstadt Stuttgart wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um diese Rechte zu wahren. Dazu wird sich die Stadt mit anderen Kommunen und Institutionen vernetzen. § 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes muss unter Berücksichtigung des Grundgesetzes angewandt oder sogar geändert werden.
Die Landeshauptstadt Stuttgart sieht erste Zeichen, dass in der Bundespolitik die Problematik der Änderung des § 23 AEG erkannt wird. Das Mitglied im Deutschen Bundestag, Matthias Gastel, hat auf seiner Homepage am 14. Juli 2024 veröffentlicht, dass die Bebauung des Gleisvorfeldes nicht generell verhindert werden soll und dass eine Änderung des Eisenbahngesetzes möglich ist.
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Nein, die Landeshauptstadt Stuttgart ist überzeugt, dass der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz die Freistellung der heutigen Grundstücke im Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart gebietet. Eine dauerhafte Blockade der Flächen im Herzen der Landeshauptstadt, ohne eine konkrete Entwicklungsperspektive durch die Bundespolitik, ist nicht rechtens und ein Nutzen ist nicht erkennbar. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat eine preisgekrönte Planung für die Entwicklung von dringend benötigtem Wohnraum im Stuttgarter Zentrum erarbeitet.
Wir freuen uns darauf, dieses nachhaltige Entwicklungskonzept zugunsten der Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt Stuttgart realisieren zu können.