Im Gespräch: Warum beteiligen?
Im Sommer 2022 fand die Beteiligung „Stadtteil für alle“ statt.
Im Gespräch mit Dörte Meinerling vom Büro planbar hochdrei und Michael Hausiel, Leiter der Abteilung Städtebauliche Planung Rosenstein, über den Stellenwert von Öffentlichkeitsbeteiligung in Stadtentwicklungsprojekten und die riesige Chance für Stuttgart.
Herr Hausiel, Öffentlichkeitsbeteiligungen haben bei Stuttgart Rosenstein einen hohen Stellenwert. Warum sind sie für das Stadtentwicklungsprojekt so relevant?
Michael Hausiel: Die Öffentlichkeitsbeteiligungen sind vor allem von Bedeutung, da Politik und Verwaltung nicht für sich planen, sondern für die Stadtgesellschaft. Ich gehe davon aus, dass viele Bürgerinnen und Bürger ein Stück ihrer zukünftigen Stadt mitgestalten wollen. Wir bieten ihnen dafür die ideale Gelegenheit.
Wichtig ist, dass wir vorab transparent darlegen, warum die heute vorliegende Planung so entstanden ist. Wir erklären, welche Gründe es für bestimmte Planungen gibt – diese Gründe können etwa geografische Gegebenheiten sein. Dann können die Menschen ihre Erfahrungen aus ihrem Alltag und ihre Vorstellungen und Wünsche für ein Leben in den zukünftigen Stadtquartieren einbringen. Die Planung kann aus ihrem Blickwinkel geprüft werden: Was gefällt mir gut an der Planung und wäre eine Bereicherung für die künftige Bewohnerschaft, aber auch für die dort Arbeitenden, die Nachbarn und die Gesamtstadt? Welche städtebaulichen Situationen funktionieren möglicherweise nicht so gut? Wie können wir neben einem stadtgesellschaftlichen auch einen ökologischen Mehrwert erreichen? Die Beteiligung der Öffentlichkeit als lokale Expertinnen und Experten ist ein elementarer Baustein für die städtebauliche Planung und die Akzeptanz einer späteren Umsetzung.
Frau Meinerling, Sie führen mit Ihrem Büro regelmäßig Beteiligungen zu städtebaulichen Themen durch. Wie groß ist das Interesse der Bürgerinnen und Bürger am Städtebau in Stuttgart?
Dörte Meinerling: Wir beobachten, dass das öffentliche Interesse an städtebaulichen Themen in Stuttgart seit einigen Jahren konstant zunimmt. Das entspricht auch dem deutschlandweiten Trend. Die mündige Gesellschaft fordert von Politik und Verwaltung mehr Transparenz und ein größeres Mitspracherecht. Denn gerade wenn es um die Gestaltung der eigenen Stadt und damit um das eigene Lebensumfeld geht, möchten sich viele Bürgerinnen und Bürger mit ihren Ideen und Anregungen, aber auch mit ihren Bedenken und ihrer Kritik einbringen.
Michael R. Hausiel ist Architekt und Stadtplaner. Nachdem er fast 10 Jahre das Sachgebiet Vaihingen/Möhringen und leitete, übernahm er im August 2020 die neu gegründete Abteilung Städtebauliche Planung Rosenstein im Amt für Stadtplanung und Wohnen.
Wie erreicht man bei solchen Prozessen Menschen, die sonst vielleicht nicht mitreden würden oder die bereits daran gewöhnt sind, nicht gefragt zu werden?
Dörte Meinerling: Eine größere Vielfalt an sozialen Gruppen erreicht man durch eine sogenannte Zufallsauswahl von Menschen aus sämtlichen Einwohnenden einer Kommune, bei der Kriterien wie Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit und weitere besondere Merkmale hinterlegt werden. Neben den Menschen, die durch die Zufallsauswahl für einen Beteiligungsprozess ausgewählt sind, sollte es frei zugängliche Plätze für alle an dem Thema Interessierten geben. Denn diejenigen, die interessiert sind, sollte man nicht durch eine Zufallsauswahl ausklammern. Nach diesen Methoden wurden ja auch die Menschen für die Beteiligung „Stadtteil für alle“ ausgewählt. Allerdings wird man so die von Ihnen angesprochenen sogenannten vulnerablen Gruppen nicht erreichen. Hier müssen Methoden wie die aufsuchende Beteiligung und weitere zielgruppenspezifische Formate zum Zug kommen, bei denen ganz individuell auf die soziale Gruppe eingegangen werden kann.
Michael Hausiel: Neben dem von uns angewandten Instrument der Zufallsauswahl und den frei zugänglichen Plätzen hielt ich es auch für wichtig, sogenannte Interessensvertretende einzuladen, die wichtige Aspekte der Planung prüfen können – wie etwa die Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung, Vertretende mit migrantischem Hintergrund, des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad- Club) oder des „Gläsernen Büros“. Sie stellen eine wichtige Ergänzung dar.
Um Beteiligung unkompliziert zugänglich zu machen und weitere gesellschaftliche Gruppen zu erreichen, aber auch Menschen, die aus anderen Gründen nicht an Veranstaltungsformaten teilnehmen können oder wollen, halte ich auch die Online-Beteiligung für ein sehr wichtiges Medium. Eine gut aufbereitete Online-Beteiligung ist damit eine weitere wertvolle Säule in Beteiligungsprozessen.
Es ist keine Selbstverständlichkeit vor einer Gruppe zu sprechen. Wie gelingt es Ihnen in den Themenworkshops eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich wirklich alle trauen, Fragen zu stellen und Meinungen zu äußern?
Dörte Meinerling: Zum einen hatten wir in der Auftaktveranstaltung als Spielregel Fairness und Akzeptanz für alle Anregungen und Meinungen vereinbart. Zum anderen hatten die Teilnehmenden vielfältige Möglichkeiten, ihre Anregungen weiterzugeben. Neben den Wortbeiträgen im Plenum, gab es die Möglichkeit, sich an den beiden moderierten Stationen in kleineren Gruppen einzubringen und in Kleinstgruppen von zwei bis drei Personen an Fragestellungen zu arbeiten. Darüber hinaus war das Format an den Stationen so offen konzipiert, dass alle Beiträge auch individuell auf den zur Verfügung stehenden Materialien niedergeschrieben werden konnten.
Wie geht es mit den Ergebnissen der Beteiligung weiter? In welcher Form werden sie in die Planung einfließen und wer entscheidet darüber?
Michael Hausiel: Zuerst möchte ich betonen, wie wichtig die Ergebnisse der Beteiligung sind und wie ernst diese von den Planungsbeteiligten genommen werden. Wichtig ist aber auch zu erwähnen, dass nicht alle Anregungen übernommen werden können. Es folgen nun die Sichtung und Prüfung der eingegangenen Anregungen durch die Planungsabteilung und Planungsbüros, sowie gegebenenfalls weitere Abstimmungen mit den anderen Fachämtern. Nach dieser Prüfung und Abwägung der Anregungen werden Vorschläge zur Einarbeitung in den Rahmenplan erarbeitet und dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt. Dann folgt die abschließende Einarbeitung der abgestimmten Änderungen in den Rahmenplan und die Fertigstellung des Rahmenplans Stuttgart Rosenstein. Voraussichtlich Ende des Jahres 2022 soll dann ein Beschluss zum Rahmenplan Stuttgart Rosenstein erfolgen. Dann ist ein weiterer großer Meilenstein geschafft.